Interview mit Christov Rolla, Theatermusiker

"... verliebte mich prompt ins Theater."

Christov Rolla, Theatermusiker

 

Christov Rolla, Du hast bisher gut 80 Theaterstücke mit Musik versorgt. Dabei wurde oft auch gesungen.  Wie kamst Du dazu, Theatermusik zu schaffen?

 

Ich habe zwar das Lehrerinnen- und Lehrerseminar besucht, aber im Verlauf der Ausbildung wurde mir klar, dass die Primarschule nicht so ganz mein Ding ist. Daraufhin habe ich recht lange hin- und herüberlegt, welches meiner beiden liebsten Steckenpferde ich beruflich weitverfolgen soll: Sprache oder Musik? Schreiben oder spielen? Germanistik oder Gesang studieren?

 

Wenn ich damals schon ein Theaternarr gewesen wäre, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass sich die beiden Gefilde aufs Schönste im Theater – oder eher: in der Theatermusik – vereinen ... Insofern war es eine höchst glückliche Fügung, dass ich während des Studiums (ich hatte mich schliesslich für Schulmusik und Chorleitung entschieden) von der Mutter meiner damaligen Freundin gefragt wurde, ob ich Lust hätte, für eine Produktion des von ihr präsidierten Jugendtheaters die Musik zu machen. Ich sagte zu – und verliebte mich prompt ins Theater.

 

Ein Jahr später war ich wieder mit von der Partie; dann nahm mich der Regisseur zu einer anderen Produktion mit; dort hörte ein dritter Regisseur meine Musik ... und so nahm die ganze Sache eigentlich ganz ungeplant ihren Gang und einen immer grösseren Raum in meinem Leben ein. Vor ein paar Jahren hörte ich auf zu unterrichten; seither lebe ich hauptsächlich von der (und für die) Theatermusik.

 

Du arrangierst, komponierst und textest Theatermusik. Wie muss ich mir Deinen kreativen Prozess, Dein Schaffen vorstellen? Wie gehst Du vor? 

 

Das hängt sehr vom jeweiligen Stück oder Auftrag ab. 

 

Wenn es „nur“ um das Arrangieren von bestehenden Liedern für ein Ensemble geht, würde ich das weniger einen kreativen Prozess nennen; das ist für mich eher (künstlerisches) Handwerk. Nicht, dass man hier nicht ebenfalls Spielraum für Ideen und Experimente hätte – aber besonders viel einfallen lassen muss ich mir da nicht; viel wichtiger ist, dass man die Möglichkeiten des Ensembles kennt (und bedenkt).

 

Dann gibt es Stücke, bei denen es eher (oder ausschliesslich) um instrumentale Musik geht; etwa atmosphärische Unterlegungen (z. B. bei getragenen Dialogen oder wortlosen Aktionen), um konkrete Bühnenmusiken (Tanz- und Festszenen u.Ä.) oder um Umbaumusiken. Diese Art von Theatermusik kommt bei mir vor allem dann vor, wenn ich bei den Aufführungen als Musikant mitwirke. (Dass ich MitmusikerInnen habe oder ein Instrumentalensemble die Musik spielt, ist (leider!) seltener der Fall.) – Für solche instrumentale Musiken bin ich in der Regel oft bei den Proben dabei und entwickle die Musik zunächst improvisierend und in engem Kontakt mit der Regie. Wenn der Charakter, die Dauer und die etwaige dramatische Entwicklung der Stücke dann klar sind, geht es entweder ans „richtige“ Komponieren – oder aber die Improvisationen haben sich von selber in eine feste Form begeben. (Den Prozess des eigentlichen Erfindens und Komponierens kann ich nicht erklären; das haben wohl schon sehr viel klügere Menschen als ich vergeblich probiert. Bei mir ist es eine Mischung aus Klang- und Wunschvorstellung, ein wenig Erfahrung und viel Herumprobieren am Klavier.)

 

Und dann gibt es noch die eigenen Lieder. Hier gehe ich fast ausnahmslos vom Text aus. (Es kommt fast nie vor, dass mir eine Melodie einfällt und ich nachher die Worte dazu suche – das gibt bei mir erfahrungsgemäss meistens ein unelegantes Gewurstel.) Der Liedtext ist dann oft meine Hauptarbeit; ich verwende viel Sorgfalt (und Zeit) darauf. Es gibt ja einerseits in den allermeisten Fällen keinen triftigen, rationalen Grund, warum jetzt mitten im Stück plötzlich ein Lied gesungen wird, und andererseits schenkt das Publikum im Theater gerade auch dem gesungenen Wort eine besondere Aufmerksamkeit. Daher dünkt es mich wichtig, dass der Liedtext entweder substanziell etwas zum Kolorit des Stückes oder der Figur beiträgt, mit dem Stücktext „verhängt“ ist, etwas Inhaltliches vertieft – oder aber wenigstens unterhaltsam ist. 

 

Wenn der Text dann einmal steht, trägt er für mich schon viel von seiner künftigen Musik in sich – Charakter, Ausdruck, Färbungen, vielleicht auch einen Subtext, den man mit der Musik verstärken oder konterkarieren kann. (Und der Songtext wiederum entsteht natürlich aus dem Theatertext heraus und in enger Absprache mit der Regie.) 

 

Für das eigentliche Vertonen der Texte habe ich kein bestimmtes Vorgehen. Mal singe ich schon beim Schreiben der Verse innerlich mit und kann mich dann von der tausendmal gesummten Melodie nicht mehr lösen; mal schwebt mir ein bestimmter Groove oder Stil vor, und dann nähere ich mich, auf der Gitarre schrammelnd oder am Klavier klimpernd, nach und nach der Melodie. 

 

Oftmals gibt natürlich das Theaterstück an sich gewisse Färbungen oder Stile vor. Ob ein Stück im Emmental des 18. Jahrhunderts spielt oder in Russland während des zweiten Weltkrieges, ist ja auch für die Musik bedeutsam. Das heisst ja nicht, dass hier nur Volkslieder und dort ausschliesslich soldatische Chöre erklingen müssen; es kann auch Spass bereiten, einen Shakespeare mit Reggae-Songs auszustatten; aber die Musik muss sich des Stoffes bewusst sein und sich irgendwie dazu verhalten.

 

Freilich spielt man ab und zu auch mit Klischees, denn gerade im Theater muss ein Lied das Publikum ja schon beim ersten Mal in irgendeiner Weise anspringen, weil selbiges keine Gelegenheit hat, das Lied mehrmals zu hören und es „wachsen“ zu lassen; aber noch schöner ist es, solche Klischees gleichzeitig zu unterwandern oder zu brechen. Das sind dann die besonders vergnüglichen Momente im Leben des Theatermusikanten.

 

Christov Rolla am Klavier

Als Pianist bist Du Teil (die eine Hälfte) des Chanson-Duo Canaille du jour. Welcher Eurer Auftritte blieb Dir/Euch unvergesslich und warum? 

 

Das finde ich sehr schwer zu sagen ... Wir treten an Orten auf, die unterschiedlicher kaum sein könnten, spielen aber überall die gleichen Lieder – und stellen fest, dass die Leute im Keller des besetzten Hauses die gleiche Freude daran haben wie das Publikum im Foyer der Stadtsparkasse von Wuppertal. Das finde ich spannend zu beobachten: Verändert sich ein Lied (und macht es etwas mit uns), wenn wir am 80. Geburtstag eines Alt-Ständerates der FDP spielen, im Dauerregen bei einer 1. Mai-Demonstration oder an den Solothurner Literaturtagen?

 

Aber wenn ich jetzt einen Auftritt herauspicken müsste, dann wäre es wohl jener im Gewölbekeller der Weinspelunke „Chez Georges“ in Paris. Wir spielten im Rahmen einer Vernissage von Luzerner Künstlern; das Publikum bestand aber grösstenteils aus französischen Stammgästen. Und da wir hauptsächlich französische, von uns ins Deutsche übersetzte Chansons im Repertoire haben, sangen wir letztlich (wie Sänger Graeff zu sagen pflegt) den Franzosen ihre eigenen Lieder vor. In einer Sprache, die sie weder verstehen noch mögen; auf einem Elektropiano, das dem Klang eines richtigen Klaviers nur aus weiter Entfernung ähnelte; in einer Dunkelheit, derentwegen sich der Pianist an der zartesten Stelle des allerschönsten Akkordwechsels von „Ne me quitte pas“ aufs Empörendste verspielte. – Das war eine ziemlich surreale Erfahrung – und nicht im Geringsten das, was man einen erfolgreichen Auftritt nennt. Aber eben: unvergesslich.

 

Was war bisher Deine grösste berufliche Herausforderung und wie hast Du sie gemeistert?  

 

Ich vermute, das war mein Diplomkonzert zum Abschluss des Chorleitungsstudiums. (Streng genommen war das eine vorberufliche Herausforderung.) Ich machte eine konzertante Aufführung der Dreigroschenoper mit sieben oder acht SolosängerInnen, einem kleinen Männerchor und einem zwölfköpfigen Instrumentalensemble. Da ich das Ganze selber, also ohne Verein oder bestehendes Ensemble, veranstaltete, war die Organisation an sich schon eine gewisse Herausforderung. Die Hauptherausforderung kam aber völlig unvermittelt:

 

Die Proben mit den SolistInnen hatten sich gut angelassen; gemeinsam hatten wir die theatrale Darstellung und einige musikalische Details erarbeitet. Dann kam die erste Probe mit dem Orchester. Wir spielten den ersten Song, und diese Profis spielten ihn natürlich schon beim ersten Mal wunderschön. Ich war begeistert und beglückt. Und ich merkte im gleichen Atemzug, dass ich zum ersten Mal überhaupt vor einem Orchester stand. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich nun sagen und machen sollte. Ein simples „Danke, das war super, gehen wir direkt zum nächsten Stück!“ kam ja wohl nicht in Frage, sonst hätten mich die Musiker bestimmt für einen Menschen ohne jeden Anspruch gehalten; für eine Repetition musste ich aber irgendeine Anweisung, Kritik, Bitte, Aufforderung oder zumindest Anregung parat haben. Mir kam aber nichts, nichts, nichts in den Sinn: Ich realisierte mit Schrecken, dass ich keine Ahnung von der Spieltechnik der Instrumente und, was noch viel schlimmer war, nicht die geringste Vision davon hatte, wie das Orchester klingen sollte.

 

Ich war so mit der Organisation und den Gesangsproben beschäftigt gewesen, dass ich mir überhaupt keine Gedanken zum Instrumentalen gemacht hatte. Müsste ein Dirigent jetzt nicht an Nuancen feilen? Irgendwie am Einklang der Bläser arbeiten oder wenigstens das Cello nachstimmen lassen? Einzelne Übergänge so oft wiederholen, bis sie der Vorstellung des Komponisten entsprechen? Langer Rede kurzer Sinn: Ich stand da und war völlig überfordert und fühlte mich ziemlich inkompetent. Das Orchester guckte mich an und hüstelte. 

 

Die Lösung war dann ehrlich gesagt relativ unspektakulär: Mir fiel ein, dass diese Leute ja alles Freunde von mir waren. Oder jedenfalls Kollegen. Oder zumindest der ganzen Sache wohlgesinnt – dass wir alle hier waren, um zusammen etwas Schönes und Gutes auf die Beine zu stellen. Und dass ich nun sowieso nur noch die Wahl hatte, mich völlig zu verstellen – oder ehrlich zu sein. Kurzum: Ich erzählte ihnen von meiner Unsicherheit. Dass ich froh sei um Hinweise und Vorschläge ihrerseits. Dass ich vielleicht keine besonders konkrete Vision hätte, dafür aber auch kein Pedant sei. Zu meiner Erleichterung zeigten sie (wie die meisten Menschen, wenn man etwas offen anspricht) Verständnis; und dass ich (wie auch heute noch) die Lebendigkeit der Genauigkeit vorzog, kam ihrem Bedürfnis nach einem baldigen Feierabendbier recht entgegen. 

Christov Rolla an der Gitarre

Du komponierst Musik für klassisches Theater. Könntest Du Dir vorstellen, eine Impro-Show aus dem Stegreif musikalisch zu begleiten?

 

Vorstellen kann ich mir fast alles, aber in diesem Fall müsste ich wohl sagen: Mir ist nicht wohl dabei. Ich bewundere Leute, die aus dem Stegreif spielen können (musizierend wie schauspielend); mir selber liegt das leider überhaupt nicht. Im privaten, kleinen, „geschützten“ Rahmen geht das Improvisieren grad noch so knapp; sobald es aber unter dem Druck der Öffentlichkeit sein muss, kommt mir fast gar nichts mehr in den Sinn. Ich bin eher ein Mensch der Vorbereitung und des Entwickelns.

 

Welche Interview-Frage wolltest Du schon immer gestellt bekommen und beantworten?

 

Interviewfrage: Kannst du dich eigentlich auch kurz fassen?

 

Deine Antwort: Ja.

 

Was bringt Dir die Musik, das Musizieren und Singen persönlich?

 

Eintauchen. Aufgehen. Abstand. Weltflucht. 

Sehnsucht und Erfüllung im Wechsel. 

Wärme. Liebe. Atem. Fülle. 

Und ab und zu Applaus.

 

 

Welchen beruflichen Traum hegst Du? Was möchtest Du gerne (noch) erreichen?

 

Es ergeben sich nach und nach und immer wieder so erfüllende Projekte und Produktionen, dass ich mir meistens gar nichts anderes wünsche, als dass es einfach immer so weitergehen möge. Aber wenn ich mal eine längere Pause haben sollte, möchte ich probieren, einen Soloabend auf die Beine zu stellen.

 

Wo sieht und hört man Dich derzeit?  

 

Bis Mitte April wird in Bremgarten (AG) das Stück „Der Drache“ (Regie: Simon Ledermann) aufgeführt, für das ich Songs geschrieben habe. Ich selber bin bis Mitte März noch einige Male im Stück „Fleisch“ (Regie: Ursula Hildebrand) auf der Bühne, welches in Bern, St. Gallen und Stans gastiert. Ansonsten bin ich einmal monatlich Teil der Lesebühne „The Beauties & das Biest“ in der Loge Luzern. (Links siehe unten.)

 

 

Herzlichen Dank für dieses spannende und vielseitige Interview!

 

Für das Interview: Manuela Ming

 

 

Weitere Informationen zu Christov Rolla und Links:

 

 

Alle Bilder wurden uns freundlicherweise von Christov Rolla für dieses Interview zur Verfügung gestellt. Sie unterstehen dem gültigen Urheberrecht!

 


Keinen Beitrag mehr verpassen? Gerne! Einfach den Blog abonnieren:



Kommentar schreiben

Kommentare: 0