Liebe ohne Grenzen

Eine Kurzgeschichte von Manuela Ming

"Du bist gefühllos geworden." hatte sie ihm gesagt. "Seit du an der Grenze arbeitest, grübelst du nur noch vor dich hin." hatte sie ihm vorgeworfen. "Ich weiss gar nicht, ob du mich überhaupt noch liebst!" hatte sie mit bebender Unterlippe geflüstert, bevor sie in Tränen ausgebrochen war. Ja, die fünfzehn Jahre Ehe waren nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen. Sein Job war hart und hatte ihn misstrauisch werden lassen. Aber gefühllos? Nein, das stimmt nicht oder doch? Sie hatten es doch gut miteinander. Oder etwa nicht? Soll einer die Frauen verstehen, dachte er und seufzte.

 

Dabei hatte ihre Geschichte so schön begonnen. Sie stand am Strassenrand und hatte eine Panne. Er war ihr Held, der Ritter in der schimmernden Rüstung: Er war bis zur nächsten Notrufsäule gelaufen und hatte lässig den Pannendienst gerufen. Die ganze Zeit, während sie zusammen auf den Abschleppwagen warteten, hatten sie sich blendend unterhalten. Sie verging wie im Flug. Keine Frage: Es hatte gefunkt! Wie in einer Liebesschnulze. Wie verliebt sie damals waren. Sie war seine Julia und er ihr Romeo. Im Laufe der Jahre wurden sie zu Esther und Max. Der Zauber der Verliebtheit verflog. Gerne hätten sie Kinder gehabt, doch es war ihnen nicht vergönnt. Die Jahre gingen ins Land. Sie durchlebten zusammen Höhen und Tiefen. Zusammen!

 

Ein neuer Tag an der Grenze begann. Tief in Gedanken versunken, holte sich Max einen Kaffee und begrüsste seine Grenzkameraden. Gleich würde seine Schicht beginnen. Postkontrolle war heute angesagt. Nun ja, es gab Schlimmeres. So musste er sich wenigstens nicht mit Menschen herumschlagen. Heute wollte er alleine seinen Gedanken nachhängen dürfen.

 

Während er sich die Postsendungen ansah, dachte er über seine Ehe nach: Phhhh, gefühllos! Er liebte seine Frau! Gut, mit dem Grübeln hatte Esther recht. Die vielen Schmuggelgeschichten gaben ihm zu denken. Langsam aber sicher traute er immer weniger Menschen. Was es nicht alles gab! Wie kann ich Esther beweisen, dass ich sie noch liebe und nicht gefühlskalt bin? dachte er, als ihm ein brauner Maxi-Briefumschlag auffiel. Die Adresse war handgeschrieben. Die Schrift gefiel ihm. Der grüne Aufkleber verriet, dass sich angeblich Spielkärtchen im Wert von unter hundert Franken darin befanden. Bekannterweise stimmte die Deklaration nicht immer mit dem Inhalt überein. Oft wurde zu verzollende Ware als Geschenk deklariert. Okay, das war hier nicht so.

 

Spielkärtchen, dachte er, hmmmm. Die Handschrift schien die einer Frau zu sein. Er guckte sich den Briefumschlag genauer an, drehte ihn um. Kein Absender. Aha! Mit braunem Paketklebeband nochmals "gesichert." Er befühlte den Umschlag. Luftgepolstert. Da hatte sich jemand Mühe gegeben. Die Absenderin - wenn sie denn eine Frau war - da konnte er sich täuschen, wollte offenbar, dass der Inhalt heil ankam. Langsam begann er sich für den Inhalt zu interessieren. Was für ein Spiel das wohl war? Kannte er es? Waren es WIRKLICH Kärtchen?

 

Gespielt hatten Esther und Max früher viel und gerne. Besonders Kartenspiele liebten sie. Sie kannten ganz viele davon: Canasta, Bridge, Mau Mau, Uno und so weiter. Was hatten sie dabei gelacht. Manchmal spielten sie um einen Einsatz. Der Verlierer musste die Gewinnerin küssen oder der Gewinner wurde von der Verliererin bekocht. Das waren noch Zeiten! Unwillkürlich hatte er zu lächeln begonnen.

 

Ein Gedanke begann langsam Gestalt anzunehmen. Ich muss ja meine Pflicht tun, wer weiss, ob das nicht Schmuggelware ist, dachte er sich. Ich kann es mir ja mal ansehen, spann er er seinen Faden weiter, und später verschliesse ich es wieder mit dem "ZOLL, Durch die Deutsche Post für die Zollabfertigung geöffnet"-Klebeband. Das schadet ja niemanden. Die Empfängerin erhält es einfach etwas später. Der Weg von der Schweiz nach Deutschland ist weit. Da kann es schon mal dauern. Schon war er daran, den Umschlag vorsichtig zu öffnen.

 

 

Darin befanden sich Kärtchen mit einer grünen, blauen und roten Seite. Die andere Seite war weiss bedruckt mit verschiedenen Begriffen. Gut, die Deklaration stimmte schon mal.

 

Neugierig guckte er sich die Kärtchen näher an. Die Kärtchen mit der roten Rückseite waren mit Gefühlen beschriftet. Ängstlich, entzückt, berührt, las er. Die Blauen mit Orten wie Hühnerstall, Gefängnis und Anwaltskanzlei  und die Grünen mit Beziehungen, wie Ehepaar (ja, ja, dachte er), Film-/Popstar und Fan oder Hund und Knochen. Was soll das für ein Spiel sein? Er guckte in den Umschlag. War da eine Spielanleitung? Fehlanzeige!

 

Ratlos schaute er sich die Kärtchen an und legte den Umschlag zur Seite. Er arbeitete weiter und dachte wieder an seine Ehe. Plötzlich kam ihm eine Idee. Er würde die Kärtchen nach Hause nehmen und zusammen mit Esther ein Kartenspiel dazu erfinden.

 

Gefühle würden dabei eine Rolle spielen und er könnte seiner Frau beweisen, dass er nicht gefühlskalt war. Als Belohnung für den Gewinner oder die Gewinnerin würde er sich wie damals schöne Preise ausdenken. Esther liebte Sonnenblumen. Genau, Blumen würden der Preis für das erste Spiel sein. Das erste Mal würde er Esther gewinnen lassen Er könnte die Sonnenblumen zücken und dabei seine Frau zurück gewinnen. Natürlich würde sie ihn durchschauen. Aber hey, Sonnenblumen! Und so würde es weiter gehen mit einem innigen Kuss, einem Kinoabend, einem romantischen Candle-Light-Dinner, ein Wellness-Wochenende und weitere schöne Sachen nur für sie zwei. Er würde seine Ehe retten und wieder der Held für seine Esther sein.

 

Bei diesem Kartenspiel gab es für einmal keine Verlierer!

 

Diese Geschichte wurde inspiriert durch eine Bestellung die am Zoll hängenblieb und mehr als zwei Wochen unterwegs war. Die Kärtchen sind im Shop erhältlich. 

 

Das Bild wurde mir freundlicherweise für diese Geschichte zur Verfügung gestellt. Es untersteht dem gültigen Urheberrecht.

 

© Alle Rechte bei Manuela Ming.

 

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 8
  • #1

    Denisa Vadala (Sonntag, 25 Februar 2018 09:16)

    Das ist eine ganz wunderbare Geschichte, schön und so zart geschrieben. Außerdem macht sie Paaren Hoffnung - dass sie sehr wohl etwas für ihre festgefahrene Beziehung tun können. Wieder kreativ werden - Raum für Spiel schaffen! Danke für diese tolle Kurzgeschichte!

  • #2

    Manuela Ming (Sonntag, 25 Februar 2018 09:24)

    Herzlichen Dank, Denisa, für diese wunderbare Rückmeldung. <3

  • #3

    Martina (Sonntag, 25 Februar 2018 11:25)

    Was für eine bezaubernde Liebesgeschichte. Bitte gerne mehr davon - es müssen dafür ja nicht unbedingt Lieferungen verzögert ankommen, oder? Herzliche Grüße

  • #4

    Manuela Ming (Sonntag, 25 Februar 2018 11:56)

    Ja genau Martina :-) Vielen Dank!

  • #5

    Ingrid (Sonntag, 25 Februar 2018 16:10)

    Es ist Sonntag Nachmittag, das Feuer im Herd strahlt eine wollige Wärme aus. Ich liege auf dem Sofa und lese diese berührende Geschichte. Schnupf schnupf, mein Partner ist nach 2 Wochen wieder nach Bregenz heimgefahren. ��

  • #6

    Manuela Ming (Sonntag, 25 Februar 2018 16:48)

    Oh, ein freudiges Wiedersehen Euch beiden <3

  • #7

    Regina Herzog-Visscher (Sonntag, 23 September 2018 17:15)

    Sonnenblumen... da geht gleich die Sonne auf! Wie bei dieser Geschichte insgesamt. Worte haben so viel Macht, wenn sie richtig eingesetzt werden. Sie können zu Gefühlen werden. Erst führten sie hier zu Verwirrung... der Mann verstand nicht, was seine Frau von ihm wollte... aus der Verwirrung wurde zaghafte Einsicht. Aus geschriebenen Worten einer unbekannten Person eine wunderbare Idee. Danke für diese zu Herzen gehende Geschichte und den Samen, den sie streut!

  • #8

    Manuela Ming (Sonntag, 23 September 2018 17:42)

    Vielen Dank für Dein Feedback und das Bild des gestreuten Samens <3