Interview mit Rochus Lussi, Bildhauer

"Kunst bedeutet für mich und mein Leben alles."

Porträt von Rochus Lussi, Bildhauer, Stans

Rochus Lussi ist mit Leib und Seele freischaffender Bildhauer. Er arbeitet mit Holz. Als Kurator arbeitet er an und in verschiedenen Ausstellungs-Projekten. Rochus gibt ab und an Workshops. 2019 erhielt er den Innerschweizer Kulturpreis für seine Werke und sein grosses Engagement für die Kunst in der Zentralschweiz.  


„dünne Haut“ 2014 / 850-teilig / je 35x8x8 cm / Holz in Farbe gefasst / Rochus Lussi

Rochus Lussi: Auf welches Deiner Werke bist Du besonders stolz und warum?

 

Es gibt schon ein paar ältere Arbeiten von mir, auf die ich sehr stolz bin. Die entweder jetzt unterwegs sind, irgendwo bei einer Kundschaft, irgendwo platziert sind - oder die noch da (im Atelier) sind und für mich zu einem zentralen Werk gehören.

 

Eine Arbeit auf die ich ganz besonders stolz bin - eine meiner grössten Arbeit - ist die "dünne Haut" im Nidwaldner Musueum. 2014 hatte ich dort eine Ausstellung im Pavillon, wo die 850 Teile von der Decke hingen. Und eine Arbeit das Baby und das Ferkel, welche auf 150 m2 ganz einsam auf dem Boden gelegen hat. Es zeigt das Spannungsfeld vom Intimen und der Öffentlichkeit oder das Leben, auch die Gefahr, die Verletzbarkeit und von oben bedroht und begleitet zu werden, wird sichtbar. Als Betrachter*in oder Besucher*in der Ausstellung bist du direkt ein Teil des Geschehens, wenn du in die Installation hinein läufst.

 

Von der Arbeit aber auch vom Thema her ist es für mich etwas sehr Zentrales. 

 

Spuren“ 2018 / 340-teilig / je 40x10x5 cm / Pappelholz / Rochus Lussi

Eine weitere Arbeit sind diese Taschentücher. "Spuren" nennt sich das. Sie ist 300-teilig. Das ist auch eine meiner grössten Arbeiten, welche zur Zeit gerade in einer Ausstellung hängt. 

 

Hier im Atelier hängt eine kleine Auswahl, da die Ausstellung ein Jahr dauert. 

 

Du möchtest also ein paar Deiner Werke in Deiner Nähe haben?

 

Ja, vor allem wenn es eine zentrale und wichtige Arbeit ist, die du machst und dann gibst du sie weg an die Ausstellung. Und für mich ist sie immer noch zentral, aber sie ist nicht da zum Zeigen. Also habe ich noch zusätzliche Taschentücher gemacht. Mittlerweile sind Einzelne verkauft. Stell dir vor, ein Taschentuch ("Nastüechli") begleitet dich tagtäglich. Meine Arbeiten sind immer direkt mit dem Mensch verbunden. Aber der Mensch ist nicht sichtbar. Der Mensch ist für mich nicht mehr so wichtig im Objekt. Aber er ist nicht weg zu denken, weil das Taschentuch ist weder etwas aus der Natur noch etwas Florales. 

 

Er ist ein Handschmeichler. Oder es geht um Spuren wie Körperflüssigkeiten oder wenn die Fahrrad-Kette rausspringt und man denkt, oh nein - zum Taschentuch greift und sich die Kettenschmiere abwischt. Oder wenn man sich eine blutige Verletzung holt, oder wenn man schwitzt oder man Adieu winkt, oder wenn man Tränen hat. Das Taschentuch begleitet uns. Danach hängen sie so als Trophäen.

 

Viele meiner Arbeiten bezeichne ich auch als Trophäen. Trophäen ist so wie eine Art Arbeitstitel, weil die Arbeiten aus dem Leben gegriffen sind und ich erhöhe sie. Wie ein Jäger eine Gemse schiesst, das Meiste isst er. Den Kopf kocht er ein. Bleicht ihn mit Wasserstoff und hängt ihn als Trophäe an die Wand. 

 

So mache ich das beim Taschentuch. Welcher Künstler macht ein Taschentuch und gibt ihm so eine Plattform? Oder auch die Abfallsäcke in Holz. Das ist ja ziemlich abstrakt. Etwas Alltägliches, dass eine Präsenz bekommt. Das mache ich, in dem sie an der Decke hängen. Wenn ein Windstoss kommt, bewegen sie sich leicht, es gibt eine Drehung etc. Spuren ist auch eine wichtige Arbeit von mir.

 

Es gibt auch noch weitere Arbeiten, die mich essentiell oder emotional wichtig sind - wie auch die Gruppe Wölfe, die ich gemacht habe, die sind auch sehr wichtig. 

 

 

Rochus Lussi, Bildhauer, bei der Arbeit

Mir fiel auf, dass die Themen "Nähe, Distanz, Verletzbarkeit, Wehrhaftigkeit" bei deinen Werken wie ein roter Faden sind. Ist das so?

 

Ja, genau. Es ist so, es gibt - grob gesagt - zwei Arten von Künstlern. Zum Beispiel Giacometti oder ein lokaler Künstler Alois Hermann oder ein Stefan Walker, welche immer gleiche Menschentypen haben. In diese Gruppen oder Figuren legen sie ihre Geschichten, ihre Themen. Sie werden wie damit gefüllt.

 

Aber figurativ, formal, bleibt es immer derselbe Typus. Der Wiedererkennungswert ist sehr hoch. Wenn irgendwo in einem Garten eine solche Figur steht, weiss man: "Ah, das ist ein Alois Hermann oder Giacometti." Ein Giacometti hat in seine Figuren auch verschiedene Themen gelegt, oder Mitteilungen oder Geschichten erzählt.

 

Bei mir ist es umgekehrt. Ich habe ein Thema - ein Grundthema. Dann habe ich eine leere Bühne. Darum haben meine Arbeiten in der Aufstellung, in der Gruppe, manchmal etwas Szenisches. Wie die 850 Teile an der Decke und das kleine Baby und das Ferkel am Boden. Man muss es nur noch "anhauchen" und dann beginnt es zu leben.

 

Eigentlich ist es eine Inszenierung?

 

Ja genau. Deshalb sehe ich meine Arbeit als leere Bühne und ich habe ein Thema, die auf dieser Bühne wie in der Luft liegt. Dann hole ich mir für das Thema wie ein Choreograph die Formen. Das heisst, ich habe keine Grund-Rochus-Form sondern ich habe eine Grund-Rochus-Thema. Dann hole ich mir die Objekte, ob es jetzt ein Abfallsack ist oder ein Duvet ist, dass in diese Kiste gestopft wurde, ob es vergoldete Heiligenscheine sind, oder Rosen-Dornen oder jetzt die 250 Hörner, die ich für eine Ausstellung noch vollende. Diese Arbeiten setze ich auf die Bühne. 

 

Deshalb auch Trophäen: Ich überlege mir für dieses Thema, was ist im Moment in meinem Alltag spannend oder wo zieht es mich hin. Oder manchmal über den Zufall meiner Good-Morning-Zeichnungen und dann entwickelt sich eine Lust. So ist es auch beim Wolf passiert. Der Wolf ist seit 20 Jahren in meinem Kopf. Und immer dachte ich: Ja, es ist so "gefällig". Und irgendwann sage ich: "So und jetzt mache ich es!" Dann bekommt es einen Groove, dann bin ich nicht mehr zu stoppen. Dann "fägt" es! 

 

Es ist amüsant, wenn man meine Arbeiten einzeln, in einer Ausstellung oder Gruppen-Ausstellung sieht und eine Vermutung hat: "Ah, das könnte ein Rochus sein." Leute, die mich ganz gut kennen, sagen: "Das muss ein Rochus sein."

 

 

Wie haben sich Deine Arbeiten / Deine Themen im Laufe der Zeit entwickelt?

 

Seit 1992 habe ich das Atelier und mache Kunst. Am Anfang waren es so Themen wie das Archaische. Und im Archaischen das Thema Beziehung. Zum Beispiel habe ich Stämme halbiert und habe in jede Hälfte eine Figur gemacht. Eigentlich haben die beiden Figuren ja miteinander zu tun. Sie sind aus dem gleichen Holz, aber doch sie sind getrennt. 1994/95 habe ich das viel gemacht. Viele habe ich wieder in der Natur platziert und verfaulen lassen. Von diesen gibt es nur noch wenige.

 

1998/99 kam die Verdoppelung derselben Figur. Ein Mann, der einmal nackt und einmal angezogen da steht. Du weisst nicht, ist es jetzt ein Zwillingspärchen oder eine Verdoppelung im gleichen Moment. Zwischen 1998 und 2002 sind viele solcher Paare entstanden. 

 

Seit 2001 entstanden die multiplen Arbeiten. Wo ich nicht nur zwei paarweise gemacht habe, sondern wo ich begonnen habe, die Figuren zu vervielfachen. Das Thema begann eigentlich schon vor 26 Jahren. Das Gespaltene hat ja auch mit Verletzung, mit Trennung zu tun. Und jetzt der Umgang mit Masse und Individuum war da grosses Thema. Das Anonym-Sein in der Masse. Ein Teil einer grossen Masse zu sein und darin, wie für selber abgeschottet zu sein. Oder in einer Masse in einer Gruppe unterwegs zu sein usw.  Das Thema von Masse und Individuum kam da sehr auf. 

 

Das Herz ist für mich ein Parade-Beispiel. Wir haben 8 Milliarden Herzen auf der Welt. Jeder Mensch hat ein Herz in der Brust und die müssen ja Bedingungen erfüllen, damit sie funktionieren. Das heisst, faktisch/technisch sind es dieselben Herzen sonst hast du einen Herzfehler. Wir haben 8 Milliarden gleiche Herzen und doch hat jeder Mensch sein individuelles Herz. Jeder Mensch ist ein Original in sich, zum schätzen, zum Ernst nehmen etc. Das ist einfach ein Symbol. Das Herz ist der Ofen des Hauses, die Pumpe, die Energie. 

 

Rot ist viel Thema. Rot taucht in meinen Arbeiten immer wieder auf. In meinen neuesten Arbeiten etwas weniger, weil ich mittlerweile auch (wieder) ohne Farbe arbeite. Aber bis New York habe ich alles in Farbe gefasst. Seit 1995/96 sind auch Arbeiten wieder unbehandelt, wie zum Beispiel die Taschentücher. 

 

Das Thema Masse - Individuum zieht sich bis heute durch meine Arbeiten. In meiner neusten Arbeit "Spuren" sind es die Masse von 300 Taschentücher, wovon jedes einen anderen Inhalt oder eine andere Essenz. Jedes Taschentuch wird auch von jemand anderen getragen. Das spricht wieder für den Menschen. Man könnte auch 300 Menschen hinstellen, die ihr Taschentuch zücken. Das mache ich nicht, ich brauche das Taschentuch als Attribut für irgendeine Geschichte.

 

Das Thema Masse - Individuum ist nach wie vor ein sehr grosses Thema: Es gibt drei Duvets (Bettdecke), es gibt fünf Big Teddys (Abfallsäcke), es gibt 40 Rosendornen, etc. Aber es ist für mich überlagert mit einem brisanteren oder mindestens so wichtigen Thema - wie du sagtest - die Verletzbarkeit, die Dünnhäutigkeit, also das Membran, die Haut. Sei es von Menschen, vom Elefant oder der Welt oder vom Apfel oder vom Duvet, oder Abfallsack. Im Duvet hat es - und das ist das Perfide - Daunenfedern. Also auch wieder die Haut von einem Tier respektive das Federkleid. Es ist wie eine Verdoppelung des Themas. 

 

Es ist eine feine Schicht - wie bei den Big Teddys, die ein Innenleben schützen aber auch verstecken. Wie ein kleines Geheimnis. Das ist auch beim Menschen ganz typisch. Wie wir uns kennen oder meinen uns zu kennen. Wir haben eine Intimität, eine Innenwelt, die unser Geheimnis ist und alles was aussen ist, ist öffentlich. Wir sehen uns, ich weiss, was für Haare du hast usw. Das schützt dich. Manchmal zeigt die Haut aber auch, wie es einem geht. Man sieht manchmal Menschen mit Allergien, mit Gelbsucht etc. Wenn es einem nicht gut geht, ist die Haut ja ein sehr starkes Kommunikationsorgan.

 

Mit dem spiele ich. Das sind so Kippsituationen, wo ich das Pendel ausschlage, von dieser Haut, die ja schützt und sehr wichtig ist, die aber gleichzeitig auch verletzbar ist. Und in dieser Verletzbarkeit, damit wir uns nicht verletzen lassen müssen, braucht es ja auch Schutz. Also Schutz aktiv oder pro-aktiv: Wie beim Tier das Horn oder bei den Rosen die Dornen. Da geht es auch um die Wehrhaftigkeit, wenn ich mich schützen will, muss ich mich wehren. Zum Beispiel wenn man attackiert wird.  Manchmal ist man Opfer und kurz danach wird man zum Täter. Der Schutz, dieser Mechanismus, interessiert mich sehr in den letzten Jahren. 

 

 

„sometimes quickly changed“ 2018 / 44-teilig / Installation 600x600x40 cm / Holz in Farbe gefasst /Rochus Lussi

Was möchtest Du mit Deinen Werken bewegen?

 

(lacht) Du stellst grosse Fragen.

 

Als ich mit der Kunst begonnen habe - so im jugendlichen Leichtsinn - hatte ich die Illusion, mit der Kunst die Welt bewegen oder verändern zu können.

 

Es passierte dann ganz schnell, dass ich mir das abschminken musste. Mittlerweile ist es für mich schon schön, wenn ich Fragen in den Raum stellen kann. Deshalb auch mein Thema. Ich mache keine visuell herzige Figuren, obwohl meine Arbeiten ästhetisch sind. Man kann auch handwerklich staunen, wie es gemacht wurde. Aber das Thema ist etwas verborgen und man muss sich dem auch öffnen. Das ist das, was ich heute reizvoll an meiner Arbeit finde: Dass ich Fragen zu unserer Existenz stellen darf. Durch die Themen Verletzbarkeit - Wehrhaftigkeit stelle ich manchmal Fragen an/in unsere Welt.

 

Man sieht nichts Politisches aber es kann durchaus politisch sein, es kann sozial sein, es kann religiös sein, es kann humanistisch sein. Da habe ich auch schöne Reaktionen oder Diskussionen, wenn ich eine Atelier-Führung oder eine Ausstellung mache. Wo ich Menschen höre, die plötzlich sehr berührt sind von einer Arbeit, dich sich selbst darin sehen. 

 


"Holz ist ein sehr sympathisches, warmes Material."


Hörner“  2019 / 132-teilig / je 35x7x7 cm / Holz in Farbe gefasst / Rochus Lussi

Dein Arbeitsmaterial ist Holz. Wieso Holz?

 

Das ist ein Teil der Wiedererkennung mittlerweile. Ich habe mal Schreiner gelernt und bin dann in die Kunst hinein gekommen.

 

Das Holz ist schon seit ich 16 Jahre alt war, präsent. Ich finde es ein sehr sympathisches Material. Und ich finde es einfach geil, das Holz quer und längs mit der Kettensäge bearbeiten zu können. Mit einem Material, wo ich nicht designen muss wie zum Beispiel mit Polyester oder einem künstlichen Material. Sondern ich kann einen Holzstamm nehmen, bringe den ins Atelier rein und kann mit dem eine Geschichte erzählen. 

 

Es ist so direkt und unmittelbar. Schneller als der Maler, der noch die Leinwand aufziehen muss, die Farben mischen und, und, und.

 

Das Holz ist - nebst dem das es ein sympathisches und warmes Material ist - ist für mich auch praktisch zum Arbeiten. Mittlerweile weiss man, wenn etwas aus Holz ist, es könnte ein Rochus sein. In der Zentralschweiz gibt es aktuell fünf Künstler, die mit Holz arbeitet. Manche Künstler*innen arbeiten natürlich auch mit (weiteren) unterschiedlichen Materialien. 

 

Mit welchen Holzarten arbeitest Du?

 

Hauptsächlich mit Linden- und Pappelholz. Die Rosendornen sind aus Eiche. Wenn ich weiss, dass etwas für den Aussenraum gedacht ist, nehme ich Eiche. Eiche ist wetterbeständiger. 

 

 

Portrait Rochus Lussi

Wie sieht bei Dir ein typischen Tag aus? Gibt es den überhaupt?

 

Moll, den gibt es schon. Ich arbeite morgens von 07.00 bis abends um 18.00 Uhr (mit Mittagspause). Ich arbeite viel

 

Früher mit Familie, wo ich mich an der Kinderbetreuung beteiligt habe, waren die Arbeitsstunden weniger. Das war okay.

 

Jetzt habe ich wieder mehr Zeit für meine Arbeit. Die langen Tage hatte ich schon etwas vermisst. Am Morgen starte ich mit den Good-Morning-Zeichnungen (Anm. der Interviewerin: Drei Stück pro Tag). Dadurch, das es lange Tage sind, kann ich es mir leisten, mir zwischendurch Zeit für ein Interview zu nehmen. Ich arbeite sehr gerne! Die körperliche Arbeit brauche ich, sonst werde ich grantig. Natürlich leiste ich mir zwischendurch auch ein paar Tage zum Entspannen.  

 

Ich schätze meine langen Tage sehr. Die Tage kann ich auch spontan unterbrechen. Das kann ich mir erlauben, weil ich viel arbeite. Bei mir ist nicht der ganze Tag strukturiert. Ich mag die Abwechslung. Manchmal arbeite ich intensiv an einem Objekt, manchmal auch an drei, vier Objekten miteinander oder es gibt einen Ausstellungs-Aufbau. Am Abend gucke ich, worauf ich noch Lust habe, ob ich zum Beispiel Sport treibe. Die Zeit, die ich jetzt mehr zur Verfügung habe, brauche ich auch für die Regeneration wie Sport und Relaxing.

 

Worüber kannst Du herzlich lachen?

 

Ich lache sehr viel. Manchmal über Nonsens. Worüber ich sehr gut lachen kann, wenn mir ein Mensch begegnet, der mir was zeigt, was ich nicht erwartet habe. Zum Beispiel wenn ich jemanden sehr gut kenne und er plötzlich eine humoristisch unerwartete Seite von sich zeigt. Da kann ich sehr lachen.  

 

 

Du arbeitest als Kurator in verschiedenen Ausstellungs-Projekten - zum Beispiel die Performance Reihe Happen. Was reizt Dich als Kurator?

 

Ich glaube, das liegt in meinem Naturell. Es gibt der Introvertierte, der bei sich ist, der an seinem eigenen Werk arbeitet und sehr in seinen Themen ist. Und es gibt der Extrovertierte und da zähle ich mich dazu. Man kann es als Tugend sehen, als Hemmnis, als Ablenkungen etc.

 

Manchmal bin ich auch etwas introvertierter und dann gibt es wieder Momente, wo ich eher nach aussen gehe. Dabei hatte ich immer das Bedürfnis nicht nur für mich zu schauen. Sondern mich interessiert, was andere Künstler*innen machen. Es interessiert mich Künstler*innen zusammen zu bringen. Denn da passiert wieder etwas Neues, für die Künstler*innen selber und in der Beziehung. 

 

Dann wurden Projekte an mich heran getragen wie die Visarte Zentralschweiz, wo ich die Ausstellungsgruppe übernommen habe. Oder im Chäslager, wo ich fünf Jahre lang Ausstellungen gemacht habe. Das heisst, ich bin wie da hineingewachsen. Natürlich mit der Lust, dass ich das können möchte, oder kann oder gerne mache.

 

Das war auch ein Teil der Begründung des Kulturpreises: Einerseits mein Werk und andererseits, dass ich immer für andere geschaut hab und Kultur vermittelt habe. Ich habe Künstler*innen in Ausstellungen gebracht. Ich habe Ausstellungen kuratiert zum Beispiel zum Thema "In Holz gehauen" mit Alois Hermann, der bildhauerisch arbeitet. Und eine andere Reihe "In Holz gebaut", also Künstler*innen, die mit Holz bauen, zusammen bauen wie eine Gertrud Guyer Wyrsch. 

 

Mich bringt das selber auch immer weiter. Einerseits mache ich das für Andere, weiss aber, dass ich ich viel lerne, für mich selber, für mein Prozess. Das ist das Kuratieren, dass ich super finde.

 

1995 - 1995 machte ich mehrere öffentliche Performances alleine oder mit einer Gruppe, die sich DIA (Die Interaktionale) nennt. Dann habe ich es in der Familienzeit 20 Jahre ruhen lassen. Jetzt mit New York war es ein Projekt, das mir anzuschauen und auszuloten, wäre das wieder etwas? Und es hat total eingeschlagen. Ich machte in New York etwa fünf Performances in der Öffentlichkeit. Konnte mich so ausprobieren. In der Rushhour war es denn New Yorkern eh egal. Es war so cool! Eine Performance machte in der Wall Street, wo die Banker ein- und ausgehen, wo die grosse Börse ist.

 

Das habe ich so geschätzt an New York: Das Anonymsein in der Masse und in der Masse sich als freier Mensch zu bewegen, das fand ich so genial. Zum Sinn der Performance: Für mich ist Performance eine bewegte Skulptur. Das heisst, ich bringe etwas an den Tag, eine Skulptur und ich bin die Figuration und erzähle die Geschichte dazu. In Berlin und New York zu arbeiten, waren für mich ganz grosse Highlights. Leben möchte ich aber hier.

 

 

ochusLussi_Metron_Spitalstrasse

Du gibst fünf-tägige Workshops "In Holz gehauen, was Dein Herz begehrt". Wieso sollte ich Deinen Workshop besuchen?

 

(lacht) Eigentlich sollte ich dazu nicht zu viel Werbung machen, weil sie schon ziemlich weit ausgebucht sind.

 

Du musst bedingt einen Workshop besuchen. Es geht dir nachher viel besser. Es ist die beste Psychohygiene für Dein Leben. Ich habe Sozialvorsteher, Pfarrer, ich hatte schon Psychiater und viele Lehrpersonen. Beim letzten Workshop war eine Unternehmensberaterin dabei. Mittlerweile auch Pensionierte. Eine Teilnehmerin kommt bereits zum neunten Mal. Wir haben immer eine extrem lustige Woche. Für das Mittagessen besuchen wir die Restaurants in Stans. Da mache eine kleine kulinarische Weltreise durch Stans.

 

Die Workshops tun mir auch gut. Es ist immer Action: Sieben Kursteilnehmer*innen, sieben Ideen, sieben Techniken. Eine Spezialität des Workshop ist es, dass man keine Vorkenntnisse haben muss. Das mag ich besonders gerne. Sie arbeiten viel intuitiver, halten ein Messer vielleicht anders und haben ganz andere Ideen. Am letzten Kurstag gibt es jeweils eine interne Vernissage mit einem Apero.

 

Normalerweise gibt es einen Workshop im Ballenberg und zwei Workshops in Stans. Nächstes Jahr gibt es sogar drei Workshops in Stans. (Anmerkung der Interviewerin: Es gibt nur noch zwei Plätze für nächstes Jahr. ) 

 

 

Spuren 2018

Was rätst Du angehenden Bildhauer*innen und/oder Künstler*innen?

 

Das hat mich schon lange niemand mehr gefragt, aber ich finde es eine schöne Frage

 

Unbedingt sich immer wieder hinterfragen. Dabei kommt es darauf an, ob man traditionell arbeiten möchte oder voll in die freie Kunst gehen möchte. In meinen Augen ist das eine Typ-Frage.

 

Etwas was ich vielen rate: "Wenn du der Welt (in Zukunft) eine Geschichte erzählen möchtest. Wenn du dich mit deiner Arbeit am Weltgeschehen beteiligen möchtest, dann lohnt es sich so viel wie nötig aber so wenig wie möglich angestellt zu sein."  Ich rate vielen Jungen, wenn Du eine Anstellung brauchst und/oder bezahlte Aufträge brauchst zum Beispiel als Bildhauer, dann arbeite mindestens ein Tag, besser zwei Tage, ganz frei für Dich. Und stelle dir immer wieder die Frage: Wohin willst du im Leben? Und sich immer mal wieder zu überlegen: Was ist mein Traum? Dazu gehören manchmal auch illusorische Träume.

 

Ich hatte schon immer den Traum, von der Kunst leben zu können. Das kann ich seit ein paar Jahren. Aktuell bin ich regional gut verankert, national ein wenig und ein Traum von mir ist, noch etwas mehr ins Ausland zu gehen. Ich glaube, dass Träume Wirklichkeit werden können. Wenn man dran bleibt, ohne sich dabei zu frustrieren. Ich bin ein Optimist

 

Was wünscht Du Dir für Dein Leben?

 

Das Ober-Thema ist Gesundheit. Ich wünsche mir, dass ich möglichst lange - ich arbeite sehr akrobatisch - arbeiten kann. Es ist eine relativ strenge Arbeit. Das mache ich sehr gerne. Das hält mich auch fit. Die Bedingung ist die Gesundheit.

 

Beruflich wünsche ich mir, dass ich meine Arbeiten in einem grösseren Radius zeigen darf. 

 

 

Hörner 132 Teile

Welche Interview-Frage wolltest Du schon immer gestellt bekommen und beantworten?

 

Frage:

Wann hast Du Feierabend von der Kunst? Kannst Du abschalten?    

 

Antwort:

Nein, ich habe nie Feierabend von der Kunst. Manchmal reagieren Leute darauf mit, da muss man ja krank werden.

 

Ich weiss, dass ich davon nicht krank werde. Als selbstständiger Unternehmer und Künstler trage ich Themen immer mit. Ich kann auch gut unterwegs arbeiten. Für mich ist es nichts Belastendes. Ich weiss, wo ich gut abschalten und relaxen kann. Dabei kann ich auch in "Leer-Momenten" sehr gut Ideen entwickeln. 

 

Was hörst Du für Musik, während Du arbeitest? 

 

Drum and Bass. Den Rhythmus nimmt die Kettensäge und Trennscheibe auf. Für klassische Musik wäre die Arbeit zu laut. 

 

 

Rochus Lussi, Bildhauer, bei der Arbeit

Was bedeutet für Dich Kunst?

 

Einerseits ist für mich Kunst, nichts anderes als deine Arbeit, die Arbeit von Menschen von der Müllabfuhr oder eines Bauern. Ich erachte Kunst nicht als etwas wahnsinnig Privilegiertes respektive extrem Wichtiges.

 

Ich hätte auch Schreiner bleiben können oder Lehrer werden oder irgendetwas. Ich überbewerte Kunst nicht in dem Sinne. Aber - jetzt wo ich schon mal mache - bedeutet Kunst für mich und mein Leben alles.

 

Ich glaube, es könnte alles scheitern: Wenn es mir finanziell nicht mehr reichen würde, würde vielleicht einfach wieder in einer Anstellung arbeiten gehen. Oder wenn mich jemand - wie auch immer - dazu zwingen würde mit der Kunst aufzuhören. Ich würde trotz allem nie aufhören.

 

Selbst wenn ich gesundheitliche Beeinträchtigungen hätte, ich würde weiter machen. Ich würde ein Ressort finden, eine Technik, die mir Kunst zu machen, weiterhin ermöglichen würde. Kunst ist mein Leben! Kunst ist sexy. Und es ist ein Privileg, Kunst machen können. 

 

 

Herzlichen Dank, Rochus, für das Interview und die Atelier-Führung. Weiterhin viel Freude, Erfolg und Gesundheit beruflich wie privat. 

 

Für das Interview: Manuela Ming




Alle Bilder wurden uns freundlicherweise von Rochus Lussi (by Christian Hartmann, Beromünster) für das Interview zur Verfügung gestellt. Das Selfie ist von Manuela Ming. Sie unterstehen dem gültigen Urheberrecht!

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Super Sabine (Sabine Krink) (Sonntag, 27 Oktober 2019 07:24)

    Danke erneut für dieses sehr intensive und umfassende Interview. Es berührt sehr viele Themen in mir, mit denen ich mich auch beschäftige, und ich finde es spannend, zu sehen, wie ein Künstler sie umsetzt, zum Beispiel das Anonymsein in der Masse bei gleichzeitiger Intimität des/der Einzelnen.

    Wieder ein sehr wertvolles Interview für mich - DANKE!
    Herzensgruß
    Sabine

  • #2

    Manu von Allerlei Impro (Sonntag, 27 Oktober 2019 08:08)

    Herzlichen Dank, Sabine, für Dein tolles Feedback! :-)